Kultur ist ein menschengemachtes Orientierungssystem in das man sozialisiert wird. Innerhalb der Nationalkultur existieren viele Subkulturen, die sich auch gegenseitig beeinflussen. Und selbstverständlich prägen sie auch den Menschen. Um sich das leichter vorzustellen, genügt ein Blick auf die Berufs- bzw. Branchenkultur oder man stelle sich vor, welches Leben man wohl führen würde, wenn man einen anderen Beruf gewählt hätte. Was hätte es wohl für Auswirkungen auf mich gehabt, wenn ich tatsächlich forensische Psychologie studiert hätte?
In jeder Branche und in jedem Beruf etablieren sich Werte, Umgangsformen, Verhaltensregeln und Lebensanschauungen, die sich mit der Zeit prägend auswirken. Ebenso prägend ist auch die Nationalkultur, die Unternehmenskultur oder die Paarbeziehung, wenn sich gemeinsame Regeln, Moralvorstellungen oder sogar eine eigene Sprache entwickeln.
Das Unbewusste in der Nationalkultur
Doch während man sich seiner Berufskultur noch zum Teil bewusst ist und durch den Kontakt zu anderen Berufen immer wieder daran erinnert wird, ist dies bei der Nationalkultur weniger häufig der Fall. Zu früh wurde man darin sozialisiert und mit zu vielen Menschen teilt man dieses gemeinsame Orientierungssystem, sodass es schließlich selbstverständlich, ja natürlich wurde und damit auch nicht mehr vollständig bewusstseinsfähig. Erst wenn man mit Fremdkulturen in engeren Kontakt tritt und das eigene Werte- und Orientierungssystem in Frage gestellt wird, wird man sich seiner selbst wieder bewusst. Doch oft findet auch das nicht statt. Dann wird das seltsame Verhalten des anderen nämlich einfach nur als inadäquat bewertet, und mit einer mehr oder weniger unterschwelligen Erwartung verbunden, dass sich der andere verändern muss, sich dem eigenen Orientierungssystem anzupassen habe. Denn bedingt durch die frühe Sozialisierung, deren Regeln und Werte ein Zusammenleben in einer Gemeinschaft ja erst ermöglichen, wird eben angenommen, dass das erlernte Orientierungssystem richtig und gut ist und das Abweichungen davon, auf unterschiedliche Art und Weise sanktioniert werden sollten.
Kultur steht in sinnvoller Beziehung zum Kontext
Dabei bleibt aber unbedacht, dass eine Kultur immer auch Freiheiten einschränkt und dass sich eine Kultur aus seinen besonderen Umweltfaktoren, seinem Kontext heraus sinnvoll entwickelt hat. So führt eben ein ausgeprägtes, staatlich organisiertes Sozialsystem dazu, dass Beziehungen weniger wichtig sind, als in Ländern ohne staatliche Unterstützung.
Nun, dieser Punkt, den Ursprung und den Sinn einer Kultur zu kennen, ist meines Erachtens nach, von immenser Bedeutung, wenn man einen wertschätzenden Umgang mit anderen Kulturen pflegen möchte. Nur wer die Geschichte oder den Kontext einer Kultur kennt, kann fundiert argumentieren warum gewisse Werte, Normen und Regeln existieren und weshalb sie sinnvoll sind. Wenn ich dann die Entstehung und den Sinn nicht nur meiner eigenen Kultur kenne, sondern auch der Fremdkultur, ist es ein leichtes die andere Kultur für sinnvoll zu erachten, diese wertzuschätzen und eine tragfähige Beziehung aufzubauen.
Bin ich mir aber meiner eigenen Kultur nicht bewusst und kenne ich ihren Ursprung und damit ihren Sinn nicht, ist ein wirklich wertschätzender und toleranter Umgang mit einer Fremdkultur schwierig. Denn in dieser Situation werden die unterschiedlichen Erwartungen, Regel- und Wertvorstellungen sehr schnell auf einer emotionalen Ebene ausgetragen, da es ja keinen Zugang zur sachlichen Ebene gibt. Hier fühlen sich dann tiefverwurzelte Werte angegriffen, die man irgendwie hat, aber auch nicht wirklich greifen und schon gar nicht erklären kann. Und sind wir mal ehrlich, wer kennt das nicht, dass die Emotionen umso größer werden je schlechter die eigenen Argumente sind. Getreu dem Motto: Ich weiß ganz genau, dass ich Recht habe, auch wenn ich dir nicht erklären kann warum!
Die Wechselwirkungen zwischen Kultur und Kontext erkennen
Wer es also anders machen möchte, der sollte sich mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen. Sowohl national als auch persönlich auf die Suche gehen nach den Ursprüngen und der Sinnhaftigkeit des eigenen Orientierungssystems. Organisationen sollten sich nicht wahllos irgendwelche wünschenswerte Werte zuschreiben, sondern schonungslos ehrlich ihre Werte ergründen, die sich in Wechselwirkung zu den Rahmenbedingungen ergeben haben. Dadurch könnten problematische Muster eigenhändig identifiziert werden, ohne sich dafür Berater einkaufen zu müssen. Und wenn die Wechselwirkungen zwischen Kultur und Kontext erst einmal identifiziert sind, zeigt sich auch, welche Stellschrauben bedient werden möchten.
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