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madlenriera

Kulturelle Unterschiede im Argumentieren – mit amüsanten Ausführungen

Aktualisiert: 30. Sept.

Wer vor fremdkulturellem Publikum Vorträge, Verhandlungen, Verkaufsgespräche führt beziehungsweise generell einfach nur überzeugen möchte, der sollte über grundlegende kulturelle Unterschiede des Argumentierens informiert sein.


Johan Galtung formulierte 1983 in „Struktur Kultur und intellektueller Stil“ vier unterschiedliche Argumentationsstile: den Sachsonischen, Teutonischen, Gallischen und Nipponischen. In welchen Ländern diese Denk- und Argumentationsstile, ob in reiner Form oder auch nur ansatzweise vertreten sind, wollte er nicht konkret festlegen, bemerkte aber, dass die jeweiligen Zentren wohl in GB/USA, Deutschland, Frankreich und Japan seien. Zugleich weist er auch daraufhin, dass sich die einzelnen Stile durch die Globalisierung angeglichen haben könnten. Dennoch bin ich der Ansicht, dass es in der einen oder anderen (beruflichen) Situation hilfreich sein kann, die grundlegenden Ansätze der unterschiedlichen Stile zu kennen. Zusätzlich haben mich seine humorvollen Ausführungen zum Schmunzeln gebracht, was ich gerne mit euch teilen möchte. Die direkt zitierten Stellen sind daher in Anführungszeichen und kursiv hervorgehoben.   


Der Umgang in Debatten und Diskurse


Der sachsonische Stil fördert und begünstigt Debatten und Diskurse in dem er auf Pluralismus setzt und möglichst viele verschiedene Positionen zu Wort kommen lässt. In der Kommunikation wird darauf geachtet, dass man Zu Beginn mit anerkennenden Worten den Vorredner lobt. Die weitere Ausführung darf dann aber „viele bohrende Spitzen und beißende Bemerkungen enthalten“, während der Abschluß wieder versöhnlich sein sollte. Nach Galtung treffe dies besonders für GB zu, während in der USA versucht wird „selbst in der miserabelsten Darbietung doch jenes kleine Körnchen Gold zu finden, das, wenn man es poliert, noch einen glaubwürdigen Glanz erzeugt.“ Der Amerikaner würde demnach stets nach dem Positiven suchen, während der Brite den Vortragenden, in eine Verteidigungssituation bringt, jedoch mit einem versöhnlichen Ende.


Im Gegensatz dazu ist in teutonischen oder gallischen Diskussionen, die Meinungsvielfalt enger gehalten und das Publikum homogener. Höflichkeitsfloskeln zu Beginn oder am Ende des Vortrags sind eher überflüssig, besonders dann, wenn der Vorredner eine andere Meinung vertritt. Es wird auch nicht nach dem Fünkchen Gold gesucht, sondern direkt nach der Schwachstelle die dann „mit dem Seziermesser auseinandergenommen“ wird. „Vermutlich wird sich die Debatte weitgehend derartigen Aspekten widmen, und wenn überhaupt, so wird es am Ende nur wenige besänftigende Worte geben, um den Angeklagten als menschliches Wesen wieder aufzurichten; kein Versuch wird unternommen, das Blut aufzuwischen und das verletzte Ego wieder zusammenzufügen. Entgegen der sachsonischen Sitte, sich bei solchen Gelegenheiten in Humor und Schulterklopfen zu üben, ist hier der Blick eher kühl, die Mine starr und in den Augenwinkeln ist womöglich eine Spur von Hohn und Spott zu erkennen.“


Die nipponische Diskussion unterscheidet sich hiervon erheblich, da das oberste Gebot die Wahrung der sozialen Beziehungen ist. Vielmehr wird hier das gesagte klassifiziert, einer Schule, einem Meister oder einer Denkrichtung zugeordnet, die dann miteinander in Beziehung gesetzt werden.


Der Umgang mit Meinungsverschiedenheiten


In der sachsonisch amerikanischen Debatte werden Unterschiede eher hinweggedeutet. Die sachsonisch britische Debatte versucht zumindest eine „allgemeine Stimmung der Übereinstimmung zu erzielen“.


In teutonischen und gallischen Kulturen aber gibt es kein Entgegenkommen. Hier verharrt man auf seiner Meinung die richtiger ist als die andere. Deshalb debattieren sie auch nicht mit Gesprächspartnern die zu weit entfernt von der eignen Position wären, denn „an einer solchen Debatte sich zu beteiligen wäre reine Zeitverschwendung… (Man debattiert doch nicht mit Halb-Menschen, Primitiven oder Barbaren)“.


Was ist das Fundament der Argumentationen


Der sachsonische Stil beruft sich auf gesammelte Daten, Fakten und Statistiken. Persönliche Überzeugungen spielen keine Rolle und was als verwendbarer Fakt zählt wird klar vorgegeben.


Die teutonischen und gallischen Ansätze hingegen lieben gute Theorien. Daten dienen hier eher zur Illustrierung, nicht zum Beweisen. Ganz getreu dem Motto: traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Ein Widerspruch zwischen Theorie und Daten ist daher nicht unbedingt eine Gefahr für die Theorie. Statt an der Theorie zu zweifeln wird zuerst an den Daten gezweifelt, die dann eben falsch erhoben wurden oder irrelevant sind. Die entwickelte Theorie hingegen ist die „wirkliche Wirklichkeit“ und als Idealtypus frei von den „Unreinheiten der empirischen Wirklichkeit“. Die Theorie selbst besteht aus einer kleinen Anzahl an Prämissen, die durch logisches Schlussfolgern schließlich zu einer unanfechtbaren Wahrheit gelangt, die die Wirklichkeit damit zugleich in ein enges Korsett schnürt, das keine Abweichungen mehr erlaubt. Da aber Abweichungen doch häufiger zu erwarten sind, als es die Theorie erlauben würde, spricht der teutonische Denker eben vom Idealtypus. Der gallische Denker hingegen versucht mit elegant gewählten Wörtern, wie Doppeldeutigkeiten, die Theorie von allen möglichen Blickwinkeln zu betrachten, bis er letztlich Pole ausmachen kann, die zueinander im Gegensatz stehen und in deren Mitte, er seine Theorie in Balance schweben lassen kann.


Dass Theorien so klare Stellung beziehen und keine Ambiguität erlauben, widerstrebt dem nipponischen Ansatz und ist unvereinbar mit dem hinduistischen, buddhistischen und daoistischen Denken. Ihr holistischer Ansatz zerstückelt die Wirklichkeit nicht in Einzelteile um daraufhin eine Theorie zu bilden. „Man kann nicht ein Element erkennen - und damit begreifen – ohne die übrigen zu erkennen oder zu begreifen.“ Daher werden „absolute, kategorische Aussagen vermieden; sie ziehen die Vagheit selbst bei trivialen Dingen vor.“


Warum sich der teutonisch Denkende keine Fehler erlauben darf


Zum Abschluss möchte ich noch auf ein weiteres Zitat verweisen das erahnen lässt, welche großen Auswirkungen etwas so Unscheinbares, wie der Argumentationsstil, auf die Art und Weise zu leben haben kann. Oder hat der Lebensstil den Argumentationsstil geprägt? Das eine bedingt vermutlich das andere und verändert sich davon ein Aspekt wird sich alles verändern. Was ist deine Meinung? Entsprechen wir noch den reinen Stilen oder hat eine gegenseitige Anpassung bereits stattgefunden? Aber nun erstmal zu dem versprochenen Zitat:

Sollte sich irgendetwas als ungültig erweisen, sollte eine These falsifiziert werden, sollte ein Satz, zu dem man wie auch immer gelangt sein mag, aus welchen Gründen auch immer sich als unhaltbar erweisen — so führt das in den andern drei Stilen zu keinerlei größeren Katastrophen. Für den sachsonischen Intellektuellen wird dabei höchstens eine einzige Pyramide zerstört, und er kann sofort damit beginnen, aus den Trümmern eine weitere kleine Pyramide zu konstruieren. Der nipponische Intellektuelle hat, wenn überhaupt, ein äußerst flexibles Rad, das sich durch allerlei Fakten dreht. Der gallische Intellektuelle wird seine Schwierigkeiten gewöhnlich hinter einer weiteren eleganten Formulierung verbergen können, die vieldeutig genug und vielleicht etwas großspurig ist, ihm am Ende aber doch die Bescheinigung „votre presentation magistrale" einträgt. In einer solch glücklichen Lage ist der rein teutonische Intellektuelle nicht: er trägt das Risiko, womöglich mit ansehen zu müssen, wie seine Pyramide in Stücke fällt. Deshalb ist es auch kein Wunder, daß er seine Arbeit mit einer gewissen inneren Nervosität in Angriff nimmt, die sich in Muskelverspannung ausdrückt und einem Gesicht, aus dem die letzte Spur von Humor und Distanz gewichen ist. Keine Anekdote, keine Analogie, keine Euphonie und kein spielerisches Jonglieren mit Bedeutungen — nichts vermag das Desaster zu verschleiern, das eine teutonische Pyramide treffen kann; und stürzt sie ein, kann mit ihr der intellektuelle Einsatz eines ganzen Lebens verfallen.“



ein Mann im Anzug der eine Pyramide mitten im japanischen Garten zerstörtein Mann im Anzug der eine Pyramide mitten im japanischen Garten zerstört

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